Nicht-Stammkunden suchen im Münchner Hobbyshop in der
Lothringer Straße vergeblich nach einem Set für „Malen nach
Zahlen“. Der Name, der sonst Läden für Bastler- und
Heimwerkerbedarf ziert, wurde hier verspielt zweckentfremdet.
Die zwei Medienkünstler Franz Alken, Jirka Pfahl nennen so ihre Galerie, die sie im Mai dieses Jahres
gründeten. „Hobbyshop beschreibt zutreffend, was wir
eigentlich machen, erzählt Jirka Pfahl. „Wir betreiben als
Kuratoren zu dritt eine Plattform – und das neben unseren
Brotberufen und Arbeiten als Künstler – als Passion sozusagen.“
Alle zwei Monate wird zu einer neuen
Ausstellung geladen, zusätzlich besteht für andere Künstler
die Möglichkeit, die Räume der Galerie zu nutzen und selbst
eine Ausstellung zu organisieren, vorausgesetzt, sie finden
die Wertschätzung der Betreiber. Denn auch wenn beim Hobbyshop
die Freude an der Kunstvermittlung und einer ausgelassenen
Vernissage im Vordergrund steht, mit der Kunst spaßen sie
nicht. Das Niveau muss stimmen.
Der Hobbyshop ist ein typisches Beispiel für
den Trend in deutschen Großstädten hin zu alternativen
Galeriekonzepten. Darunter versteht man all das, was nicht der
Konvention „Galerist betreut vertraglich gebundenen Künstler“
entspricht. Denn hat ein konventionell arbeitender Galerist
einen festen Stamm von Künstlern, ist er mehr als genug damit
beschäftigt, sie zu betreuen, aufzubauen und zu vermarkten.
Die Aussicht, bei einer solchen Galerie aufgenommen zu werden,
läuft für noch unbekannte Künstler gegen null.
Warum also weiter an verschlossenen Türen
klopfen, dachten sich Mitte der Neunziger Aktive aus der
Berliner Off-Kunstszene, wo die Entwicklung alternativer
Galerien ihren Anfang nahm, und machten aus der
wirtschaftlichen Not der Hauptstadt eine Tugend. Führend auf
den Gebieten der Verschuldung, der Arbeitslosigkeit und des
Gebäudeleerstands, bot Berlin Möglichkeiten wie keine andere
Stadt. Das erfolgreiche Konzept der Berliner Clubs,
leerstehende Räume für ein geringes Entgeld zwischenzunutzen,
wurde übernommen: Plattformen und Projekträume für Künstler
entstanden. Für viele die erste und einzige Möglichkeit, sich
einer Öffentlichkeit zu präsentieren.
Rüdiger Lange war einer der Ersten, der als
Kurator mit Loop – Raum für aktuelle Kunst leerstehende
Immobilien mit einem wechselnden Pool von jungen Künstlern
bespielte und damit viel Aufsehen erregte.
Das war jedoch nur der Anfang: Alternative
Galeriekonzepte erfreuen sich heute deutschlandweit vor allem
beim jüngeren Publikum großer Beliebtheit. Grund für den
Erfolg: Die Absage an das Etablierte schafft neue Freiräume
und Gestaltungsmöglichkeiten und meist auch die bessere
Party.
Ein Blick nach Hamburg: Die Galerie
Heliumcowboy Artspace wird mit synästhetischen Vernissagen der
neuen Art ihrem Namen gerecht, wie zum Beispiel mit der
Ausstellungseröffnung der „Bad Sushi Experience“: Eine riesige
Mücke aus Draht hängt von der Decke, allerlei Wassergetier an
den Wänden, leuchtend, blinkend, poppig. Dazu rockt lauthals
die Band „Bad Sushi Experience“, und zwei Köche servieren
fischlastige Häppchen. „Es ist unser Erfolgsrezept, dass die
Vernissagen starken Eventcharakter haben“, beschreibt Jörg
Heikhaus, Betreiber der Galerie, seinen Beitrag zum urbanen
Kunsterlebnis, das meist bis in die frühen Morgenstunden geht.
Andere Künstler lassen befreundete DJs zu ihrer Vernissage
spielen – Hauptsache, sie bleibt als gute Party im Kopf
hängen. Wer sich gern erinnert, kommt wieder, bringt Freunde
mit, und das zieht Sammler an.
Mit seiner Galerie setzt Heikhaus auf das
Spontane und Unberechenbare als Marktkriterium. Doch dabei
bleibt es nicht allein: Er unterstützt Künstler, die bei ihm
ausstellen, mit dem Druck von Postkarten, mit Stickern und
verhandelt mit Käufern. Und er wird selbst unterstützt: Das
DJ-Pult und die Einrichtung der Galerie ist von Freunden
geliehen, Sponsoren der Galerie fördern mit 200 Euro monatlich
ihren Fortbestand und bekommen dafür eine kleine Edition der
Künstler zugestellt. Mittlerweile hat Heikhaus ein großes
Netzwerk von Künstlern und Freunden der Galerie aufgebaut, von
dem jeder neue Künstler, der bei ihm ausstellt, profitiert.
Vertraglich gebunden ist niemand bei ihm. Voraussetzung ist
nicht etwa ein Hochschulabschluss, sondern ob der Künstler
„eine frische Position vertritt und konzeptstark eine
Ausstellung inszenieren kann“, so Heikhaus. Auch wenn bei
seinen Vernissagen Kunst „rocken“ soll, die Aussage muss
stimmen: „Ein Grafik-Designer arbeitet an der Oberfläche, ein
Künstler trifft eine Aussage“, meint er, und die solle
deutlich werden.
Heliumcowboy Artspace erinnert nicht von
ungefähr an den Hobbyshop in München. Nach einem ähnlichen
Verfahren arbeiten auch die Galerie Hafen und Rand auf der
Reeperbahn und die Galerie Revolverhelden in Düsseldorf. Die
Vernissage wird zum Event, die Galerie zum Netzwerk der jungen
Kunst- und Musikszene, der Spaß steht im Vordergrund. Kein
Wunder, dass eher illustrative und poppige Künstler bei ihnen
die Runde machen: Jim Avignon und Dag als die Arriviertesten
unter ihnen, 56k sowie Graffitikünstler Boris Hoppek als die
neuen Stars der Szene.
Künstler, deren Werke mühsamer zugänglich
sind, haben es bei solchen Galerien schwer – allerdings muss
man es den Betreibern zugute halten, dass es ihnen vor allem
um die Sache und weniger um den Markt geht. Alle sind
glücklich, wenn sie auf eine Null-null-Rechnung kommen. Die
Düsseldorfer Revolverhelden verzichten sogar ganz auf einen
Anteil aus dem Verkauf der Kunstwerke.
Strikt idealistisch geht es auch bei der
Hamburger Ateliergemeinschaft S.K.A.M. zu, die seit zwei
Jahren eine Galerieplattform betreibt. Neben den Ausstellungen
der Mitglieder steht die Bespielung des Raums für weitere
Künstler frei. Alle Entscheidungen der Ateliergemeinschaft
werden basisdemokratisch gefällt – und das führt bei 27
Mitgliedern nicht selten zu langwierigen Diskussionen.
„S.K.A.M. versteht sich als experimentelle Plattform von
Künstlern für Künstler“, erzählt Dodo Adden, einer der
Mitwirkenden. „Wir bewegen uns außerhalb der Marktgesetze,
denn S.K.A.M. ist nicht an den Einnahmen der Künstler
beteiligt.“ Die Ateliergemeinschaft lebt von den Beiträgen der
einzelnen Mitglieder. So viel Idealismus wird belohnt:
S.K.A.M. erfreut sich großer Beliebtheit, die Vernissagen sind
prall gefüllt. Die Frage ist nur, wie lange die Gemeinschaft
fortbesteht, denn ihr Sitz an der Reeperbahn ist vom Abriss
bedroht – einen ähnlichen Ort zu finden, ist im dicht
besiedelten Hamburg kaum bezahlbar.
Ähnlich idealistisch, aber mit ganz anderen
Raumproblemen kämpfend, bewegt sich Julie August durch Berlin.
Im Februar 2005 eröffnete sie 18m_Galerie für Zahlenwerte
mitten in ihrer Wohnung. Ausstellungsraum war der 18 Meter
lange Flur. Mit dem Charme des Privaten und der Verheißung auf
Spaghetti um Mitternacht entwickelte sich die Galerie, die
jeweils zum 18. des Monats eine Vernissage lancierte, zum
Renner beim Publikum und wurde sogar in der Kunstzeitschrift
„Art“ erwähnt.
Die Nachbarn in dem biederen Wilmersdorfer
Mietshaus waren weniger begeistert und erwirkten das Verbot
ihrer Ausstellungen. Solange August auf der Suche nach
geeigneten Räumen für eine neue Wohngalerie ist, stellt sie an
anderen Orten aus. Bis jetzt verzichtete sie auf Anteile am
Verkauf der ausstellenden Künstler, und dass, obwohl die
Grafikerin und allein erziehende Mutter nur ein geringes
Einkommen bezieht und selbst 500 bis 1000 Euro in eine
Ausstellung und die Gestaltung eines Faltblattes investiert.
Denn den Künstlern gehe es noch schlechter, meint sie. Die
Fotografen der letzten, sehr erfolgreichen Ausstellung
„Hauseingänge“ dankten es ihr, indem sie ihr bisher nicht
verkaufte Bilder schenkten, um damit ihren Umzug zu
finanzieren. Zukünftig wird sie zumindest 18 Prozent der
Einnahmen beanspruchen, was bei einem üblichen Satz von 50
Prozent noch immer sehr gering ist.
Aber wie sieht es mit Künstlern aus, die
sich ohne Eventkonzept und Spaghettirezept auf dem Kunstmarkt
etablieren wollen? In Berlin hat sich in der Brunnenstraße
eine ganz neue Form von Produzentengalerien entwickelt, die
2002 von Christian Ehrentraut mit „Liga“ eingeführt wurde.
Eine Gruppe von Kunsthochschulabsolventen gründet eine
Galerie, jeder bezahlt einen festgelegten Betrag als
Anschubfinanzierung, und gemeinsam stellen sie jemand ein, der
ihre Interessen vertritt, Ausstellungen organisiert und
Verkaufsverhandlungen führt. Der Spieß zwischen Künstler und
Galerist wird kurzerhand umgedreht. Die „Galeristen“ bekommen
ein geringes Festgehalt und beim Verkauf eine Provision von
plus/minus 25 Prozent.
„Produzentengalerien siedeln sich immer dort
an, wo sich schon ein Kunstmarkt entwickelt hat“, sagt Rüdiger
Lange von Loop. Die Brunnenstraßengalerien liegen in der Nähe
der etablierten Galerien in Mitte. Die Brunnenstraße hat einen
Vorteil: Sie ist im Gegensatz zur schicken Mitte noch
billig.
Die Produzentengalerie Diskus in der
Brunnenstraße wurde von zehn Dresdner Bildhauern gegründet,
die von der jungen und enthusiastischen Kunsthistorikerin
Birgit Ostermeier vertreten wird. Ihr Kollege Sebastian Klemm
wirft sich für Amerika in die Bresche, eine Galerie von
Leipziger Absolventen aus den Bereichen Fotografie, Skulptur
und Installation mit einem Andrang von etwa 600 Besuchern zur
Eröffnung im Frühling 2005, ähnlich läuft es auch bei der
benachbarten Galerie Rekord, an der ein Dutzend Künstler
beteiligt ist. Das Ziel dieser Produzentengalerien: Den
Künstler auf dem Markt zu positionieren und Geld zu verdienen,
bis der Künstler so weit etabliert ist, dass er von einer
renommierten Galerie vertreten wird. Zusammen mit drei
weiteren Galerien entsteht ein Netzwerk der
Brunnenstraßengalerien mit gleichzeitigen Vernissageterminen,
über die ein gemeinsames Faltblatt informiert.
Das marktorientierte Kuscheln rechnet sich:
Das muntere Vernissagehopping verleiht der Brunnenstraße das
Flair eines Straßenfestes. Erfolg zieht junge Sammler an,
einige der Künstler sind längst zu Shooting Stars avanciert.
Ähnlich kommerziell erfolgreich verhält es sich auch mit der
im April des Jahres gegründeten artMbassy am Hackeschen Markt.
Die drei Kuratorinnen Chiara Erika Marzi, Alexandra Strüwen
und Judith Metz bespielen gemeinsam einen Kunstraum – betreuen
dabei jeweils einen festen Künstlerpool und experimentieren
mit neuen Künstlern, deren Konzepte ihnen zusagen. Der Erfolg
der „drei Grazien der Kunstszene“ ist bei Kritikern und
Sammlern enorm. Ihr Mix aus neuen und bekannteren Künstlern,
aus Szenepublikum und Sammlern geht auf. Doch das reicht der
Initiatorin Chiara Erika Marzi noch nicht: „Das Ziel der
artMbassy ist es, Künstler international miteinander zu
vernetzen.“ Dazu werden in den nächsten Jahren in weiteren
Ländern „Kunstbotschaften“, also „Art Embassies“, gegründet.
Die nächste Eröffnung wird im Juli 2006 statt finden, wenn ihr
Mann, ein junger Diplomat, sie und ihre kleine Tochter
zusammen an einen Ort X ziehen.
Bleibt die Frage, ob sich auch andere
alternative Galeriekonzepte in der Zukunft halten werden.
Produzentengalerien sind von vornherein auf eine Dauer von
zirka zwei Jahren festgelegt: Bis dahin sind die Künstler
etabliert oder pleite. Christian Ehrentraut hat nach seiner
erfolgreichen Zeit als Galerist für die Produzentengalerie
Liga unter eigenem Namen eine Galerie eröffnet, um nun ganz
klassisch einen kleinen Stamm von Künstlern nachhaltig zu
betreuen. Alternative Galerien oder Ausstellungsräume bieten
aufstrebenden Künstlern eine Chance, sich zu positionieren,
aber auf Dauer sind sie ziemlich schutzlos den Launen des
Kunstmarktes ausgeliefert.
„Der Kunstmarkt ist nie gerecht“, weiß
Rüdiger Lange von Loop. „Shooting Stars können morgen
abserviert sein, Mieten steigen, Galerien Pleite gehen.“ Auch
Marzi missfällt das Spekulieren am boomenden Kunstmarkt der
jungen Kreativen: Sammler, so findet sie, sollten nachhaltiger
agieren und weniger auf den kurzfristigen Gewinn schielen –
damit würden auch junge Galerien langfristig gefördert werden.
Das Gegenteil ist zurzeit der Fall: Sammler grasen die
alternativen Galerien ab, um möglichst gute Schnäppchen bei
aufstrebenden Künstlern zu erzielen. Ein Grund für die
Betreiber, sich zu freuen. Aber auch, um sich zu ärgern:
Derselbe Künstler wird in Köln gleich für das Dreifache
verkauft, vielleicht sogar gerade in diesem Moment, auf der
Art Cologne.