Rheinischer Merkur
Die Magazinzeitung für Deutschland jeden Tag
Login Neukunde Suche
Abo-ServiceDruckausgabe
Services
 
Leserbriefe
E-Paper
Abo-Service
Archiv
Newsletter
MerkurFone
Jobs
Kontakt
Presse
Sitemap
Mediadaten
RM-Profil
Impressum
Hilfe
Startseite
 

 

 

 
Startseite Kultur Reportage
27.10.2005

KUNSTMARKT / Auf der Art Cologne trifft sich die Branche – ein Streifzug durch die junge deutsche Galeristenszene
Ganz viel Spaß muss sein

Vernissage mit Discjockey, Bilderschau mit Nudeltopf: Wer keine teuren Malstars unter Vertrag hat, braucht witzige Ideen, um das Publikum zu locken.

PATRICIA CASPARI



JEANSGEFÜHL: Jörg Heikhaus von der Hamburger Galerie Heliumcowboy Artspace schmeißt gerne Patry, die in Erinnerung bleiben. 
Foto: HCAS 

Nicht-Stammkunden suchen im Münchner Hobbyshop in der Lothringer Straße vergeblich nach einem Set für „Malen nach Zahlen“. Der Name, der sonst Läden für Bastler- und Heimwerkerbedarf ziert, wurde hier verspielt zweckentfremdet. Die zwei Medienkünstler Franz Alken, Jirka Pfahl nennen so ihre Galerie, die sie im Mai dieses Jahres gründeten. „Hobbyshop beschreibt zutreffend, was wir eigentlich machen, erzählt Jirka Pfahl. „Wir betreiben als Kuratoren zu dritt eine Plattform – und das neben unseren Brotberufen und Arbeiten als Künstler – als Passion sozusagen.“

Alle zwei Monate wird zu einer neuen Ausstellung geladen, zusätzlich besteht für andere Künstler die Möglichkeit, die Räume der Galerie zu nutzen und selbst eine Ausstellung zu organisieren, vorausgesetzt, sie finden die Wertschätzung der Betreiber. Denn auch wenn beim Hobbyshop die Freude an der Kunstvermittlung und einer ausgelassenen Vernissage im Vordergrund steht, mit der Kunst spaßen sie nicht. Das Niveau muss stimmen.

Der Hobbyshop ist ein typisches Beispiel für den Trend in deutschen Großstädten hin zu alternativen Galeriekonzepten. Darunter versteht man all das, was nicht der Konvention „Galerist betreut vertraglich gebundenen Künstler“ entspricht. Denn hat ein konventionell arbeitender Galerist einen festen Stamm von Künstlern, ist er mehr als genug damit beschäftigt, sie zu betreuen, aufzubauen und zu vermarkten. Die Aussicht, bei einer solchen Galerie aufgenommen zu werden, läuft für noch unbekannte Künstler gegen null.

Warum also weiter an verschlossenen Türen klopfen, dachten sich Mitte der Neunziger Aktive aus der Berliner Off-Kunstszene, wo die Entwicklung alternativer Galerien ihren Anfang nahm, und machten aus der wirtschaftlichen Not der Hauptstadt eine Tugend. Führend auf den Gebieten der Verschuldung, der Arbeitslosigkeit und des Gebäudeleerstands, bot Berlin Möglichkeiten wie keine andere Stadt. Das erfolgreiche Konzept der Berliner Clubs, leerstehende Räume für ein geringes Entgeld zwischenzunutzen, wurde übernommen: Plattformen und Projekträume für Künstler entstanden. Für viele die erste und einzige Möglichkeit, sich einer Öffentlichkeit zu präsentieren.

Rüdiger Lange war einer der Ersten, der als Kurator mit Loop – Raum für aktuelle Kunst leerstehende Immobilien mit einem wechselnden Pool von jungen Künstlern bespielte und damit viel Aufsehen erregte.

Das war jedoch nur der Anfang: Alternative Galeriekonzepte erfreuen sich heute deutschlandweit vor allem beim jüngeren Publikum großer Beliebtheit. Grund für den Erfolg: Die Absage an das Etablierte schafft neue Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten und meist auch die bessere Party.

Ein Blick nach Hamburg: Die Galerie Heliumcowboy Artspace wird mit synästhetischen Vernissagen der neuen Art ihrem Namen gerecht, wie zum Beispiel mit der Ausstellungseröffnung der „Bad Sushi Experience“: Eine riesige Mücke aus Draht hängt von der Decke, allerlei Wassergetier an den Wänden, leuchtend, blinkend, poppig. Dazu rockt lauthals die Band „Bad Sushi Experience“, und zwei Köche servieren fischlastige Häppchen. „Es ist unser Erfolgsrezept, dass die Vernissagen starken Eventcharakter haben“, beschreibt Jörg Heikhaus, Betreiber der Galerie, seinen Beitrag zum urbanen Kunsterlebnis, das meist bis in die frühen Morgenstunden geht. Andere Künstler lassen befreundete DJs zu ihrer Vernissage spielen – Hauptsache, sie bleibt als gute Party im Kopf hängen. Wer sich gern erinnert, kommt wieder, bringt Freunde mit, und das zieht Sammler an.

Mit seiner Galerie setzt Heikhaus auf das Spontane und Unberechenbare als Marktkriterium. Doch dabei bleibt es nicht allein: Er unterstützt Künstler, die bei ihm ausstellen, mit dem Druck von Postkarten, mit Stickern und verhandelt mit Käufern. Und er wird selbst unterstützt: Das DJ-Pult und die Einrichtung der Galerie ist von Freunden geliehen, Sponsoren der Galerie fördern mit 200 Euro monatlich ihren Fortbestand und bekommen dafür eine kleine Edition der Künstler zugestellt. Mittlerweile hat Heikhaus ein großes Netzwerk von Künstlern und Freunden der Galerie aufgebaut, von dem jeder neue Künstler, der bei ihm ausstellt, profitiert. Vertraglich gebunden ist niemand bei ihm. Voraussetzung ist nicht etwa ein Hochschulabschluss, sondern ob der Künstler „eine frische Position vertritt und konzeptstark eine Ausstellung inszenieren kann“, so Heikhaus. Auch wenn bei seinen Vernissagen Kunst „rocken“ soll, die Aussage muss stimmen: „Ein Grafik-Designer arbeitet an der Oberfläche, ein Künstler trifft eine Aussage“, meint er, und die solle deutlich werden.



Heliumcowboy Artspace erinnert nicht von ungefähr an den Hobbyshop in München. Nach einem ähnlichen Verfahren arbeiten auch die Galerie Hafen und Rand auf der Reeperbahn und die Galerie Revolverhelden in Düsseldorf. Die Vernissage wird zum Event, die Galerie zum Netzwerk der jungen Kunst- und Musikszene, der Spaß steht im Vordergrund. Kein Wunder, dass eher illustrative und poppige Künstler bei ihnen die Runde machen: Jim Avignon und Dag als die Arriviertesten unter ihnen, 56k sowie Graffitikünstler Boris Hoppek als die neuen Stars der Szene.

Künstler, deren Werke mühsamer zugänglich sind, haben es bei solchen Galerien schwer – allerdings muss man es den Betreibern zugute halten, dass es ihnen vor allem um die Sache und weniger um den Markt geht. Alle sind glücklich, wenn sie auf eine Null-null-Rechnung kommen. Die Düsseldorfer Revolverhelden verzichten sogar ganz auf einen Anteil aus dem Verkauf der Kunstwerke.

Strikt idealistisch geht es auch bei der Hamburger Ateliergemeinschaft S.K.A.M. zu, die seit zwei Jahren eine Galerieplattform betreibt. Neben den Ausstellungen der Mitglieder steht die Bespielung des Raums für weitere Künstler frei. Alle Entscheidungen der Ateliergemeinschaft werden basisdemokratisch gefällt – und das führt bei 27 Mitgliedern nicht selten zu langwierigen Diskussionen. „S.K.A.M. versteht sich als experimentelle Plattform von Künstlern für Künstler“, erzählt Dodo Adden, einer der Mitwirkenden. „Wir bewegen uns außerhalb der Marktgesetze, denn S.K.A.M. ist nicht an den Einnahmen der Künstler beteiligt.“ Die Ateliergemeinschaft lebt von den Beiträgen der einzelnen Mitglieder. So viel Idealismus wird belohnt: S.K.A.M. erfreut sich großer Beliebtheit, die Vernissagen sind prall gefüllt. Die Frage ist nur, wie lange die Gemeinschaft fortbesteht, denn ihr Sitz an der Reeperbahn ist vom Abriss bedroht – einen ähnlichen Ort zu finden, ist im dicht besiedelten Hamburg kaum bezahlbar.

Ähnlich idealistisch, aber mit ganz anderen Raumproblemen kämpfend, bewegt sich Julie August durch Berlin. Im Februar 2005 eröffnete sie 18m_Galerie für Zahlenwerte mitten in ihrer Wohnung. Ausstellungsraum war der 18 Meter lange Flur. Mit dem Charme des Privaten und der Verheißung auf Spaghetti um Mitternacht entwickelte sich die Galerie, die jeweils zum 18. des Monats eine Vernissage lancierte, zum Renner beim Publikum und wurde sogar in der Kunstzeitschrift „Art“ erwähnt.

Die Nachbarn in dem biederen Wilmersdorfer Mietshaus waren weniger begeistert und erwirkten das Verbot ihrer Ausstellungen. Solange August auf der Suche nach geeigneten Räumen für eine neue Wohngalerie ist, stellt sie an anderen Orten aus. Bis jetzt verzichtete sie auf Anteile am Verkauf der ausstellenden Künstler, und dass, obwohl die Grafikerin und allein erziehende Mutter nur ein geringes Einkommen bezieht und selbst 500 bis 1000 Euro in eine Ausstellung und die Gestaltung eines Faltblattes investiert. Denn den Künstlern gehe es noch schlechter, meint sie. Die Fotografen der letzten, sehr erfolgreichen Ausstellung „Hauseingänge“ dankten es ihr, indem sie ihr bisher nicht verkaufte Bilder schenkten, um damit ihren Umzug zu finanzieren. Zukünftig wird sie zumindest 18 Prozent der Einnahmen beanspruchen, was bei einem üblichen Satz von 50 Prozent noch immer sehr gering ist.

Aber wie sieht es mit Künstlern aus, die sich ohne Eventkonzept und Spaghettirezept auf dem Kunstmarkt etablieren wollen? In Berlin hat sich in der Brunnenstraße eine ganz neue Form von Produzentengalerien entwickelt, die 2002 von Christian Ehrentraut mit „Liga“ eingeführt wurde. Eine Gruppe von Kunsthochschulabsolventen gründet eine Galerie, jeder bezahlt einen festgelegten Betrag als Anschubfinanzierung, und gemeinsam stellen sie jemand ein, der ihre Interessen vertritt, Ausstellungen organisiert und Verkaufsverhandlungen führt. Der Spieß zwischen Künstler und Galerist wird kurzerhand umgedreht. Die „Galeristen“ bekommen ein geringes Festgehalt und beim Verkauf eine Provision von plus/minus 25 Prozent.

„Produzentengalerien siedeln sich immer dort an, wo sich schon ein Kunstmarkt entwickelt hat“, sagt Rüdiger Lange von Loop. Die Brunnenstraßengalerien liegen in der Nähe der etablierten Galerien in Mitte. Die Brunnenstraße hat einen Vorteil: Sie ist im Gegensatz zur schicken Mitte noch billig.

Die Produzentengalerie Diskus in der Brunnenstraße wurde von zehn Dresdner Bildhauern gegründet, die von der jungen und enthusiastischen Kunsthistorikerin Birgit Ostermeier vertreten wird. Ihr Kollege Sebastian Klemm wirft sich für Amerika in die Bresche, eine Galerie von Leipziger Absolventen aus den Bereichen Fotografie, Skulptur und Installation mit einem Andrang von etwa 600 Besuchern zur Eröffnung im Frühling 2005, ähnlich läuft es auch bei der benachbarten Galerie Rekord, an der ein Dutzend Künstler beteiligt ist. Das Ziel dieser Produzentengalerien: Den Künstler auf dem Markt zu positionieren und Geld zu verdienen, bis der Künstler so weit etabliert ist, dass er von einer renommierten Galerie vertreten wird. Zusammen mit drei weiteren Galerien entsteht ein Netzwerk der Brunnenstraßengalerien mit gleichzeitigen Vernissageterminen, über die ein gemeinsames Faltblatt informiert.



Das marktorientierte Kuscheln rechnet sich: Das muntere Vernissagehopping verleiht der Brunnenstraße das Flair eines Straßenfestes. Erfolg zieht junge Sammler an, einige der Künstler sind längst zu Shooting Stars avanciert. Ähnlich kommerziell erfolgreich verhält es sich auch mit der im April des Jahres gegründeten artMbassy am Hackeschen Markt. Die drei Kuratorinnen Chiara Erika Marzi, Alexandra Strüwen und Judith Metz bespielen gemeinsam einen Kunstraum – betreuen dabei jeweils einen festen Künstlerpool und experimentieren mit neuen Künstlern, deren Konzepte ihnen zusagen. Der Erfolg der „drei Grazien der Kunstszene“ ist bei Kritikern und Sammlern enorm. Ihr Mix aus neuen und bekannteren Künstlern, aus Szenepublikum und Sammlern geht auf. Doch das reicht der Initiatorin Chiara Erika Marzi noch nicht: „Das Ziel der artMbassy ist es, Künstler international miteinander zu vernetzen.“ Dazu werden in den nächsten Jahren in weiteren Ländern „Kunstbotschaften“, also „Art Embassies“, gegründet. Die nächste Eröffnung wird im Juli 2006 statt finden, wenn ihr Mann, ein junger Diplomat, sie und ihre kleine Tochter zusammen an einen Ort X ziehen.

Bleibt die Frage, ob sich auch andere alternative Galeriekonzepte in der Zukunft halten werden. Produzentengalerien sind von vornherein auf eine Dauer von zirka zwei Jahren festgelegt: Bis dahin sind die Künstler etabliert oder pleite. Christian Ehrentraut hat nach seiner erfolgreichen Zeit als Galerist für die Produzentengalerie Liga unter eigenem Namen eine Galerie eröffnet, um nun ganz klassisch einen kleinen Stamm von Künstlern nachhaltig zu betreuen. Alternative Galerien oder Ausstellungsräume bieten aufstrebenden Künstlern eine Chance, sich zu positionieren, aber auf Dauer sind sie ziemlich schutzlos den Launen des Kunstmarktes ausgeliefert.

„Der Kunstmarkt ist nie gerecht“, weiß Rüdiger Lange von Loop. „Shooting Stars können morgen abserviert sein, Mieten steigen, Galerien Pleite gehen.“ Auch Marzi missfällt das Spekulieren am boomenden Kunstmarkt der jungen Kreativen: Sammler, so findet sie, sollten nachhaltiger agieren und weniger auf den kurzfristigen Gewinn schielen – damit würden auch junge Galerien langfristig gefördert werden. Das Gegenteil ist zurzeit der Fall: Sammler grasen die alternativen Galerien ab, um möglichst gute Schnäppchen bei aufstrebenden Künstlern zu erzielen. Ein Grund für die Betreiber, sich zu freuen. Aber auch, um sich zu ärgern: Derselbe Künstler wird in Köln gleich für das Dreifache verkauft, vielleicht sogar gerade in diesem Moment, auf der Art Cologne.

© Rheinischer Merkur Nr. 43, 27.10.2005  Kommentar zum Artikel

 

 
Die Magazinzeitung
Abonnement
Probe-Abo
Archiv
  Print-Inhalt

E-Paper

Kolumne: Im Visier
Christiane Florin: Wenn die deutsche Zunge klingt.
Wer hier lebt, sollte die Landessprache sprechen. Dieser Gedanke muss nicht zur Leitkulturdebatte aufgeplustert werden.

Merkur spezial


Ex libris Herbst:
Frankfurter Buchmesse 2005.

Die diesjährigen RM-Empfehlungen treffen eine Auswahl zwischen den Erfolgsbüchern und ebenjenen Werken, denen unserer Meinung nach publizistisches Gehör verschafft werden muss.

CD-Tipps

Ramón Valle: Memorias. Piano Works IV
Erich Wolfgang Korngold: Violinkonzert op. 35
Richard Strauss: Daphne
Mark Murphy: Once to Every Heart
Bill Frisell: East/West
Manu Katché. Neighbourhood
Billy Bang: Vietnam: Reflections
Franz Schubert: Die schöne Müllerin




  BERLINER LUFT  
Notizen aus der Hauptstadt: 
Abwegig, naheliegend und hintergründig - aufgespürt von Hans-Joachim Neubauer.

RM-E-Paper

RM-E-Paper:
Der gedruckte Rheinische Merkur 1:1 im Internet.


Probe-Zugang:
Testen Sie jetzt die Stärken des RM-E-Paper.

Kulturkulisse
Flop oder top: Woche für Woche die besten Empfehlungen aus der Kulturszene:
Ausstellung
Musik
Schauspiel



Vorschau "film-dienst"

Der neue
„film-dienst“

vom 27.10.2005.


Darin lesen Sie:
Jürgen Vogel im Porträt.


Drucken
Versenden
Bookmark
 


top zurück

Startseite  Politik  Spezial  Wirtschaft  Christ + Welt  Kultur  Wissen  Lebensart  Merkur Plus
[ Weitere Online-Angebote der Verlagsgruppe: filmdienst.de, funkkorrespondenz.de, merkur.tv ]
[ © Rheinischer Merkur online 2005 - merkur.de ]
[ Realisiert von pietzpluswild - agentur für digitale medien - ]